Erleichterung
Manchmal merkt man erst hinterher, wie toxisch es war.
Ich habe es fast geschafft, ich bin fast weg von TikTok, und offen gestanden bin ich erleichtert.
Ich habe mit TikTok angefangen, da hatte sich TikTok gerade neu gebrandet und wurde zu TikTok. Am Anfang hatte ich gar keinen Erfolg – kein Wunder, ich war nicht ich selbst, ich habe Make-up-Videos und Lipsyncs gemacht, immer mit der Intention, etwas verkaufen zu wollen. Ich war im Multilevel-Marketing gefangen und glaubte daran, mir Freiheit erarbeiten zu können. Eine Freiheit, die ich mir schwer erkämpfen musste.
Als ich aus Berlin wegging, wechselte mein Content: Ich machte Lipsyncs, outete mich als lesbisch und hatte neben einem Social-Media-Marketing-Studium plötzlich 180 000 Follower. Ein wilder Ritt fing an: Videos auf Englisch und ständige Lives, die dafür sorgten, dass ich mit dem Studium nicht mehr hinterherkam. Von Monetarisierung war damals noch keine Rede. Ich hatte Spaß und konnte Freundschaften schließen. Das war alles, was ich wollte: Neben Social-Media-Management zu meinem Hauptberuf machen.
Dann kam mein 2. Outing als trans Mann und ich habe einen extra Account für meine Transition gestartet: auf Deutsch und sehr ernst. Beide Accounts konnte ich nicht halten, und so löschte ich den großen Account, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass der Contentwechsel gut gehen würde. Außerdem wollte ich nicht ständig mit meinen alten Videos und meinem Aussehen konfrontiert werden. Zwischenzeitlich habe ich es bereut, aber damals war es für mich die richtige Entscheidung, das so zu machen, um irgendwann Stealth leben zu können.
Der neue Account ging ganz okay, aber ging nie über 5000 Follower hinaus und der Ton wurde rauer. Geschenke und Matches mussten gemacht werden in den Lives, ansonsten wurde man nicht mehr ausgespielt. Ich hörte auf, live zu gehen. Nach 1,5 Jahren geriet ich online an die falschen Leute in der linken Szene. Es wurden die schlimmsten Dinge über mich gesagt, meine Daten wurden gedoxt und mein Leben wurde zur Hölle. Letztlich wurde mein Account gelöscht, weil ich massenhaft gemeldet. Von TikTok gab es keine Hilfe und auch die Polizei und Staatsanwaltschaft ließen mich allein.
Nach dem Umzug in die neue Stadt gab es einen neuen Account und ich war gar nicht so sicher, was ich posten wollte. Die Unbeschwertheit war weg. Dennoch hatte ich immer Spaß am Videomachen. Ich fing an, Lauf-Content zu posten, und das war gut, aber stressig auf den Läufen: ständig die Kamera laufen lassen, ständig darüber reden, was man machen will, wo man hin will, in der Hoffnung, eventuell einen begehrten Sponsorenvertrag oder eine Kooperation abgreifen zu können. Völlig illusorisch, als trans Mensch darauf zu hoffen, wo sich doch der Leichtathletikverband darauf eingeschworen hat, keine trans Menschen zu supporten, aber ein Versuch war es wert – dachte ich mir.
Dann wurde eine Testospritze so gesetzt, dass mein Ischias verletzt wurde, und das bedeutete: Sport aus und damit dann auch kein Content mehr. Ich machte das, was jeder gute Social-Media-Manager empfehlen würde, sprich: Sprich über etwas, was dir am Herzen liegt. Ich begann, die Wahlen in den USA zu dokumentieren. Den Abbau der Demokratie und den Abbau der Pressefreiheit. Hinzu kamen die deutschen Wahlen. Der Account wuchs schnell und sehr schnell, wurde der Ton sehr rau in den Kommentaren. Ich begann, alles Mögliche herauszufiltern, und sorgte dafür, dass meine Videos nicht viral gingen, denn dann würde ich als linker Contentcreator richtig ein Problem haben. Denn auch die neue Adresse wurde durch das Impressum verbreitet – einen Impressum-Dienst konnte ich mir nicht leisten. Ich steckte lieber jeden Cent, den ich hatte, in die Nachrichtenagenturen.
Je rauer der Ton in den USA wurde gegenüber der LGBTQIA+ und vor allem die Hetzjagd gegen trans Menschen zunahm, desto schwieriger wurde es online. Die, die wissen, dass ich trans bin, schreiben das oft in die Kommentare. Sicher war das nicht böse gemeint, sorgte aber dafür, dass ich wieder zur Zielscheibe wurde. Das wohlgeprägte Image, das ich aufzubauen versuchte als Stealth lebender trans Mann, funktionierte so nicht. So doxten mich Menschen, die das nicht mal böse gemeint haben.
Bei 6500 Followern war dann letztlich Schluss, linker politischer Content wird unterdrückt und oft als Fake News gelabelt. Die AI von TikTok sorgt dafür, dass Videos in Bezug auf LGBTQIA+ nicht mehr ausgespielt werden. Wer nicht live geht nach den Spielregeln von TikTok und möglichst den Leuten das Geld aus der Tasche zieht, der bekommt auch keine Views mehr. Dann ständig dieses „Mach jetzt TikTok-Shop-Videos!“ ist einfach nur noch nervig.
So wurde unter anderem meine eigene Stimme gesperrt, weil ich angeblich gegen das Urheberrecht verstoße. Selbst meine Abonnenten haben meine Videos nicht mehr zu sehen bekommen und mussten direkt auf meine Seite, um sich diese anzuschauen. Eine Tatsache, die dafür sorgt, dass die Videos nicht monetarisiert werden. Die Kommentare wurden immer dümmer, wenn überhaupt welche kamen, und von ein paar tausend Views ging es runter auf 300 Views und nicht mal 20 Likes, meist eher so zwischen 5-8. Mein Content war immer noch Nachrichten-Content, daran konnte es nicht liegen.
Die Meldung, dass die US-amerikanische Regierung TikTok übernimmt, zeigte klar auf, was das für Creator heißen würde. Wenn dein Content nicht leicht verdaulich, tradewife und konservativ ist, wirst du ständig in rechtsradikalen Bubbles ausgespielt oder, wie in meinem Fall, gar nicht mehr. Wiedersprüche werden abgeschaltet und die Möglichkeit, live zu gehen, ist nahezu eingestellt.
So kommt es, dass ich keinen Content mehr auf TikTok mache, obwohl es nicht mal Mitte Dezember ist. Ich kümmere mich wieder mehr um mein Leben neben Social Media und schreibe in Zukunft mehr Artikel hier. Für alle, die hierher gewechselt sind – danke, dass Ihr hier seid.



Danke für den Seelenstrip, ich folge dir ja erst einige Wochen aber ich kann deinen Struggle nach diesem Artikel deutlich besser nachvollziehen. Letzten Endes musst du vor allem das tun, was dir gut tut und was dich weiterbringt!
Durch dich lernte ich in kurzer Zeit was ehrliche Nachrichten sind . Die ich sehr gerne gehört und verfolgt habe auf TikTok. Ich habe in meinem Umkreis nicht viele die so denken wie deine enge Community und das ist großartig . Wenn es jetzt hier über substak ist ok . Dann hab ich Ebend gewechselt . Und für die leichte berieseln geh ich dann zu TikTok
Danke für deine Arbeit
Birgit